Am Donnerstag, den 07.01.2016, verstarb in Freiburg im Alter von 87 Jahren Hansrudi Wäscher, der Pionier der deutschen Comics. In den Fünfzigerjahren hat er dem Lehning Verlag mit Sigurd, Akim, Nick der Weltraumfahrer, Falk und Tibor Millionenauflagen beschert. Und schuf damit im zerbombten Nachkriegsdeutschland eine erste Jugendkultur. Wäschers Abenteuerhelden sind bis heute unvergessen geblieben und inzwischen sogar als iPhone-App verfügbar.
Die Idee war ebenso simpel wie genial und stammte ursprünglich aus Italien: Schmale Schwarz-Weiß-Heftchen mit spannenden Bildergeschichten im Streifenformat, die erschwinglich waren für ebenso schmales Taschengeld. 1952 entdeckte der Hannoveraner Verleger Walter Lehning die „Piccolos“ während eines Urlaubs in Mailand. Er importierte drei der Serien, und vor allem der Dschungelheld Akim, ein plumpes Tarzan-Plagiat, eroberte im Jahr darauf die Herzen einer lebenshungrigen Generation im Sturm. Die wuchs noch ohne Fernsehen heran und ohne Rock ’n‘ Roll und blickte in eine ungewisse Zukunft. Auch Hansrudi Wäscher hatte die Hefte in Italien entdeckt und wollte etwas Ähnliches in Deutschland versuchen. Doch nun war ihm Lehning zuvorgekommen. Wutentbrannt stürmte er mit den eigenen Entwürfen in den Verlag. Lehning erkannte das Talent des jungen Zeichners, und da ihm noch eine Ritterserie fehlte, beauftragte er kurzerhand Wäscher damit. Der soll schon in der nächsten Woche ein Heft liefern, und so hängt im Oktober 1953 das erste Sigurd-Piccolo an den Kiosken. Auf dem Umschlag prangt der Titel „Die Falle“ und der Preis: 20 Pfennig.
Hansrudi Wäscher wurde am 5. April 1928 in der Schweiz geboren und wuchs in einem historischen Städtli bei St. Gallen auf, wo der Vater ein Friseurgeschäft betreibt. Die Mutter hilft im Laden mit, und um den Sohn zu beschäftigen, gibt ihm der Vater Papier und Buntstifte. So entdeckt Hansrudi für sich das Zeichnen. „Ich vergaß alles um mich herum und kritzelte und malte stundenlang bunte Bilder.“ Kurz nach seiner Einschulung zieht die Familie um, zuerst nach Zürich, wo sich der Vater eine Verbesserung seines Geschäfts verspricht, dann nach Lugano. Hansrudi kommt auf eine italienische Schule, ohne der Sprache mächtig zu sein.
In Lugano entdeckt er die Comic-Hefte, die aus Italien in die Schweiz gelangen – so etwas hat er zuvor noch nicht gesehen. Die „fumetti“ werden für ihn zur Zuflucht und helfen ihm dabei, Italienisch zu lernen: „Nach einem halben Jahr habe ich meinen ersten Aufsatz geschrieben und hatte überhaupt keine Probleme.“ Doch dann erkrankt er an Morbus Perthes und verbringt fast zwei Jahre im Krankenhaus, eingegipst, sechs Monate lang kann er sich nicht einmal aufrichten. Er flüchtet sich in Abenteuergeschichten, die er auf Italienisch liest, am liebsten Emilio Salgaris Sandokan-Romane. „Meine Eltern konnten gar nicht genügend Bücher anschleppen. Ich hatte keinerlei Einfluss auf die Dinge und rutschte wahrscheinlich auch deshalb in die Fantasiegeschichten hinein.“
Sein Vater ist Deutscher und wird zunehmend angefeindet, eines Nachts schmiert jemand „Fachgeschäft für Hitler, Göring und Goebbels“ auf das Schaufenster seines Salons. 1940 siedelt die Familie deshalb um nach Hannover, zur Schwester seiner Mutter. „Das war schrecklich“, erinnert sich Wäscher später. „Das Erste war, dass wir an der Grenze gefilzt wurden, total. An meinem ersten Schultag bekam ich gleich die Jacke voll, da ich nur Schwyzerdütsch sprach und man mich für einen Italiener hielt.“ Und es gibt in Deutschland keine Comics, die er doch so liebt. Der Vater, der „nie hatte eine Waffe anrühren wollen“, wird bald eingezogen und fällt 1945 beim Kampf um Berlin.
Wäscher ist gerade siebzehn geworden, als der Krieg zu Ende ist. Er hat inzwischen seine Lehre als „Gebrauchswerber“ abgeschlossen und besucht von 1947 bis 1950 die Werkkunstschule. Erste Aufträge findet er als Plakatmaler für drei Innenstadtkinos in Hannover und als Illustrator für die Wochenzeitung Heim und Welt, wo er die Redakteurin Helga Bertelmann kennenlernt, die er 1954 heiratet. Doch es gehen ihm nicht die Comics aus dem Kopf, und schließlich beginnt er mit eigenen Entwürfen. Ende 1951 ist zum ersten Mal die Micky Maus erschienen, mit einem Preis von 75 Pfennig für viele Kinder unerschwinglich, doch sonst gibt es weit und breit so gut wie nichts. Eine Serie, die Wäscher plant, fußt auf der Nibelungensage und soll Sigurd heißen. Da entdeckt er die Piccolos des Lehning Verlags an den Kiosken.
Die Zusammenarbeit mit Wäscher soll sich für Walter Lehning als Glücksgriff erweisen. Nicht nur, dass sich die Sigurd-Piccolos fast aus dem Stand heraus Woche für Woche weit über eine halbe Million Mal verkaufen, er kann den Zeichner zudem überall dort einsetzen, wo er ihn braucht. Als sich Lehning 1955 mit seinem italienischen Lizenzgeber überwirft und kein Material für weitere Akim-Hefte mehr bekommt, übernimmt Wäscher kurzerhand die Abenteuer des Dschungelhelden und zeichnet während der nächsten vier Jahre fast 200 Piccolos.
Als die Sowjets Ende 1957 den Sputnik ins All schießen, reagiert Lehning sofort und will „etwas Utopisches“ machen. „Wie üblich hielt ich mich an einem Montag im Verlag auf, um mein Wochenpensum abzuliefern“, so Wäscher später. „Herr Lehning stürzte gleich auf mich zu mit den Worten: ‚Haben Sie das von dem Sputnik gehört?‘ Wir müssen unbedingt eine Weltraumserie machen! Bringen Sie nächsten Montag das erste Heft mit!‘ … Laut überlegte ich: ‚Sputnik, Sputnik? … NICK!‘“ Und so liegt im Januar 1958 an den Kiosken das erste Piccolo-Heft von Nick der Weltraumfahrer aus. Der Titel konnte nicht besser gewählt sein: „Sputnik explodiert!“
Und so geht es Schlag auf Schlag. Als Lehning nach langwierigen juristischen Auseinandersetzungen Akim endgültig einstellen muss, schafft Wäscher von einer Woche auf die nächste mit Tibor einen eigenen Dschungelhelden. 1960 folgt mit Falk eine zweite Ritterserie, zu seinen weiteren Schöpfungen zählen Bob und Ben und Roy Stark. Zeitweise zeichnet Wäscher bis zu vier wöchentlich erscheinende Comic-Hefte gleichzeitig und zusätzlich auch noch Titelbilder für nicht von ihm stammende Reihen, die der Verlag in Lizenz aus dem Ausland übernommen hat, sowie für die ständigen Neuauflagen seiner eigenen. Sammler werden später nachzählen, dass Wäscher allein für Lehning weit über 22.000 Comic-Seiten und fast 3.500 Titelbilder geschaffen hat.
Doch in den Sechzigerjahren verändert sich der Comic-Markt, immer mehr und vor allem zeitgemäßere Titel überfluten die Kioske, und Lehning verpasst den Anschluss. 1968, gerade erscheinen der erste Asterix-Band und Robert Crumbs Fritz the Cat, muss der Verlag Konkurs anmelden. Tibor und Sigurd sind am Ende die beiden letzten Hefte. Wäscher findet die nächsten Jahre Unterschlupf beim Bastei Verlag und zeichnet anonym für dessen Heftserien Buffalo Bill und Gespenster Geschichten, für die auch andere Zeichner, vornehmlich in Spanien, arbeiten. Dann ist auch diese Ära vorbei.
Ohne dass Wäscher es selbst bemerkt hätte, ist nach dem Ende des Lehning Verlags eine rasch wachsende Sammlerszene entstanden, 1977 erscheinen erste Nachdrucke seiner populären Helden in kleiner Auflage als Liebhaberausgaben. Der Comic-Antiquar Norbert Hethke nimmt Wäscher unter seine Fittiche, und nach mehreren Lehning-Reprints entwirft Wäscher für dessen Insidermagazin Die Sprechblase 1982 das neue Fantasy-Abenteuer Fenrir. Bald darauf folgen auch weitere Episoden seiner einstigen Lehning-Recken Sigurd, Nick und Tibor. Wäschers Fans sind begeistert; die sind nun keine Teenager mehr, sondern langsam ergrauende Dreißig- und Vierzigjährige, die sich die Träume ihrer Kindheit bewahren wollen. Damit setzt ein weiteres Phänomen ein, Wäscher lebt von nun an ausschließlich von seinen Fans, die ihn vergöttern und seine Helden fortleben lassen.
1993 beginnt Wäscher, inzwischen 65 Jahre alt, für Hethke sogar eine neue Sigurd-Piccolo-Serie ganz im Stil seiner alten Lehning-Hefte. Als er die nach zehn Jahren beenden und Sigurd sterben lassen will, widerspricht sein Verleger und lässt von dem argentinischen Zeichner Daniel Müller weiterzeichnen. Mittlerweile hat die Reihe der neuen Sigurd-Piccolos die des Lehning Verlags, mit der 1953 alles begonnen hatte, an Umfang übertrumpft. 2008 erhält Wäscher auf dem Internationalen Comic-Salon in Erlangen für seine „Pionierleistung für den deutschen Comic“ den Max-und-Moritz-Preis.
Hansrudi Wäscher war vor allem ein fulminanter, überbordender Erzähler, der sich in jedem Genre sofort zu Hause fühlte. In die Abenteuer seiner Helden zog er seine Leser förmlich hinein und ließ sie am Ende eines jeden Heftes mit geschickten Cliffhangern der Fortsetzung entgegenfiebern: „Verpasst auf keinen Fall das nächste Heft! Es heißt …“ In der Realzeit der Leser erstreckten sich seine Geschichten zuweilen über bis zu einem Jahr. Unvergessen sind auch seine dramatisch arrangierten Titelbilder, die die Höhepunkte der Hefte zu Szenen von mythischer Kraft verdichten und den Lehning Verlag in dessen Spitzenzeit zum Marktführer unter den deutschen Comic-Verlagen werden ließen.
Die Filmrechte an Sigurd, Falk und Tibor hat unlängst die Constantin Film erworben.
© Hartmut Becker
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Wir wünschen euch ein wunderschönes & besinnliches Weihnachtsfest im Kreise eurer Familie und danken für ein gemeinsames erfolgreiches Jahr 2015 und freuen uns schon jetzt auf ein Wiedersehen in 2016, für das wir alles Gute wünschen!
Eure Abrafaxe und das gesamte MOSAIK-Team
Trotz aller Sorgfalt ist es uns im ZACK #11/2015 (197) leider passiert eine Comicseite der Serie Voodoo Serenade unter den Tisch fallen zu lassen und somit nicht abzudrucken. Die fehlende Seite haben wir nun im ZACK 199 nachgeliefert. Für alle, die aber die Seite in das ZACK 197 einlegen wollen ohne ihr Januar-ZACK zu zerschneiden, gibt es hiermit zusätzlich die Möglichkeit die Seite auszudrucken und dem Heft beizulegen.
Auf dass uns das alsbald nicht wieder passiert!
Durch seinen enormen Erfolg hat ZACK eine ganze Generation von Comic-Lesern maßgeblich geprägt und markiert [...] den Beginn der Comic-Moderne.
Für Comicfreaks eine echte Sensation!